Bizarres
Daily Soap
Gedanken
Gedichte
LARP
Psychokind
Songtext
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
icon
Wo Schatten ist kann das Licht nicht weit sein...

 
Dienstag Abend rief mich meine Schwester an und ich fiel aus allen Wolken. Sie hatte tagelang herumgefragt und herumtelefoniert um meine Nummer zu ergattern um mir mitzuteilen dass unser Großvater heute zu Grabe getragen wird. Ich dachte es wird schon nicht so schlimm aber als ich dann die verhasste Kirche betrat mit meiner Schwester gemeinsam merkte ich doch dass ich einen Kloß im Hals hatte. Ich saß in der zweiten Reihe bei den nahen Angehörigen und blieb als einzige während des Gottesdienstes sitzen. Das gefasel des Priesters machte mich nur noch mehr traurig und der Weihrauch atemlos. Schon immer habe ich die bedrückende Stimmung in der Kirche gehasst...das Bild des gekreuzigten Jesus über dem Altar und das Bild vom halbtoten Jesus der sein Kreuz schleppt neben mir an der Wand. Die Zeit erschien mir wie eine Ewigkeit. Auch meine Schwester betete nicht und sang auch nicht die todtraurigen Lieder mit aber sie nahm meine Hand und weinte stumm. Ich schluckte und kämpfte und bis dahin war es mir noch nicht so wirklich bewusst dass ich ihn nächstes Weihnachten nicht mehr sehen würde. Dass ich ihn auch nicht mehr zum Geburtstag anrufen könnte und dass ich ihn nie wieder necken könnte dass er doch das Pfeiffe rauchen lassen solle.

Nach der Predigt spielte die Orgel eine Weile und die Sargträger betraten die Kirche. Ich war insgeheim erleichtert diesem Gemäuer zu entfliehen auch wenn es draußen eisig kalt war und regnete. Der Weihrauch verursachte mir Übelkeit und ich stolperte halb blind mit brennenden Augen und einem Krampf im Magen hinter dem Sarg her Richtung Friedhof. Als wir dort ankamen war aus dem Nieseln ein handfester Regen geworden und Hand in Hand stand ich mit meiner Schwester dort und der Priester faselte wieder von Himmel und Hölle und am liebsten wäre ich vorgegangen und hätte ihm das Funkmikro aus der Hand gerissen und ihm einen Tritt verpasst. Er sollte uns doch Trost spenden und nicht solchen Unsinn faseln. Meine Großmutter war sichtlich gekränkt dass der Priester sie überging und über alles mögliche bis zum Kartenspielerverein faselte aber die Frau die sich die letzten 12 Jahre um ihn kümmerte und ihn auf seinem Lebens und Leidensweg begleitete einfach ausließ. Herzinfarkte und Lungenkrebs hatte er überstanden und es hatte beide viel Kraft gekostet und dieser Priester faselte vom Kartenspielverein nur weil meine Großeltern nur kirchlich verheiratet waren und somit nicht als Ehepaar vor dem Gesetz galten.

Ich hoffte dass alles bald vorüber sein wollte aber als wir dann Abschied nehmen warfen wir weiße Rosen ins Grab und ich konnte die Tränen nicht mehr halten. Ich musste einsehen dass der Punkt da war wo ich es einsehen musste dass er nächstes Weihnachten nicht mehr da sein würde. Meine Großmutter weinte und setzte sich in den Rollstuhl weil ihre Beine nachgaben. Ich wusste nicht was ich ihr sagen sollte oder was ich hätte tun sollen. Wir standen nur neben ihr und nahmen das Beileid entgegen und ich hielt mich an ihrem Rollstuhl fest damit ich selbst noch aufrecht stehen konnte. Ich fasste mich äußerlich doch innerlich tobte alles und am liebsten hätte ich mich wie ein kleines Kind zusammengekauert und Rotz und Wasser geheult. Ich veließ den Friedhof und setzte mich hinaus auf eine Bank um durchzuatmen und eine Zigarette zu rauchen. Ich hätte nie gedacht dass es mich so trifft aber als ich in das Grab hinabschaute wurde mir klar dass es doch der einzige Großvater war den ich je hatte und ich machte mir Vorwürfe dass ich öfter anrufen hätte sollen, mal vorbeischauen hätte können oder mehr an Familienfesten teilnehmen hätte können.

Die Tafel zog an mir vorbei. Ich redete nicht viel und wenn dann meistens mit meiner Schwester und meiner Großmutter und ich wollte nur nach Hause. Doch ich blieb bis zuletzt und lauschte den Worten der beiden wie sie erzählten über vergangene Urlaube, Familienfeste und wie es zu dem tödlichen Unfall kam.

Als ich nach Hause kam war ich leer. Ich versuchte mich abzulenken aber so recht wollte es mir nicht gelingen und so legte ich mich ins Bettchen und fand dann doch noch ein wenig Schlaf auch wenn er nicht lang anhielt. Und dann saß ich hier und auf einmal brachen die Tränen hervor und ich weinte um meinen Großvater und ich weinte auch um mich und all die Jahre die ich mich selbst ausgesperrt habe und um all die Geburtstage und Weihnachtsfeste an denen ich nicht da war und an all die Dinge wo ich mir dachte kein Bock auf die Freakshow und all die Male wo ich wieder und wieder gestritten habe mit ihnen und ich erkannte dass es vielleicht kein Morgen gibt und dass es vielleicht irgendwann zu spät sein kann um zu sagen "Ich hab dich lieb"
 

twoday.net AGB

xml version of this page

xml version of this page (summary)

powered by Antville powered by Helma